"Was ich in der Arbeit vieler Jahre an Wissen und Können erworben, was
ich mir auf meinem Fachgebiete als unverlierbaren Schatz angeeignet hatte,
das durfte ich vor allem einem Stück Erde zugute kommen lassen, das
ich mit Vorliebe als meine "ewig junge Geliebte" bezeichnete. Fünfzig
Jahre werbe ich nun schon unermüdlich um ihre mir in reichem Maße
zuteil gewordene Gunst, und niemals ist sie gealtert, und noch immer hängt
mein Herz mit gleicher Treue an ihr, an dem anmutigen Städtchen Schandau
an der Elbe und seiner unvergleichlichen Umgebung. Das Städtebild
Schandaus hat sich im letzten halben Jahrhundert wenig verändert.
Von Straßen ist nur eine neu entstanden, die König-Albert-Straße.
Einige Straßen sind allerdings umgetauft worden.
Die Zahl der Einwohner ist auch die gleiche geblieben. Nur ihre Namen haben sich vielfach verändert.
Damals hießen die meisten Schandauer "Hering", so daß Paul
Lindau
in einer humoristischen Plauderei über Schandau, die im Jahre
1873 in "über Land und Meer" erschien, folgende scherzhafte Bemerkung
machte: "Die meisten Schandauer heißen Hering. Man hat kaum ein Dementi
zu erleiden, wenn man zu jedem Schandauer "Guten Morgen Herr Hering" sagt.
Ein einziges Mal passierte es mir, daß der Betroffene sagte: "Nee,
Herr Doktor, Sie verwechseln mich mit meinem Schwager".
Eine würdige Ausnahme machte eine nützliche Dame in Schandau,
Frau Venus, Hebamme.
Ich muß immmer lachen, wenn ich im Tannhäuser
singen höre: "Zu dir, Frau Venus, kehr ich wieder!" Ich möchte
Schandau mit einer jungen bildhübschen Dame vergleichen, die wenig
Vermögen hat. Schandau ist der lieblichste, schönstgelegene Ort
im ganzen Sachsenlande. Aber es fehlt ihm eine Heilquelle, nach der indes in nächster
Zeit gebohrt werden soll. Um so höher ist es zu bewerten, daß
es trotzdem einen so hohen Aufschwung genommen hat. Schandau ist die vornehmste
Sommerfrische und der bedeutsamste Nachkurort Sachsens, und schon der berühmte
Geheimrat Henoch, Kinderarzt der ehemaligen kaiserlichen Familie, rühmte
Schandau mit den Worten: "Die von der Sonne durchwärmte Elbluft ist
besonders für den Organismus der Kinder zu empfehlen." Aber Schandau
mußte immer kämpfen um seine Stellung zu behaupten. Damals, in
der Zeit, von der ich spreche, gab es noch nicht die Hunderte von Sommerfrischen,
die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Es gab in Sachsen überhaupt
nur ein Bad, das in Frage kam, das war das königliche Bad Elster,
das sich allerdings des besonderen Schutzes der Regierung erfreute und
noch heute erfreut, während Schandau immer auf sich selbst angewiesen
war. Trotz alledem genießt Schandau einen Weltruf und hat
sich ihn bis zum heutigen Tage zu erhalten gewußt. Die Dresdner hatten
für Schandau nie viel übrig. Es war ihnen als Sommerfrische zu
nahe und zu teuer, wogegen die Berliner Schandau und die Sächsische
Schweiz außerordentlich bevorzugten." |