Rudolf Sendig im Jahre 1896 Rudolf Sendig
in Bad Schandau

"Was ich in der Arbeit vieler Jahre an Wissen und Können erworben, was ich mir auf meinem Fachgebiete als unverlierbaren Schatz angeeignet hatte, das durfte ich vor allem einem Stück Erde zugute kommen lassen, das ich mit Vorliebe als meine "ewig junge Geliebte" bezeichnete.
Fünfzig Jahre werbe ich nun schon unermüdlich um ihre mir in reichem Maße zuteil gewordene Gunst, und niemals ist sie gealtert, und noch immer hängt mein Herz mit gleicher Treue an ihr, an dem anmutigen Städtchen Schandau an der Elbe und seiner unvergleichlichen Umgebung. Das Städtebild Schandaus hat sich im letzten halben Jahrhundert wenig verändert.
Von Straßen ist nur eine neu entstanden, die König-Albert-Straße.
Einige Straßen sind allerdings umgetauft worden.
Die Zahl der Einwohner ist auch die gleiche geblieben. Nur ihre Namen haben sich vielfach verändert. Damals hießen die meisten Schandauer "Hering", so daß Paul Lindau in einer humoristischen Plauderei über Schandau, die im Jahre 1873 in "über Land und Meer" erschien, folgende scherzhafte Bemerkung machte: "Die meisten Schandauer heißen Hering. Man hat kaum ein Dementi zu erleiden, wenn man zu jedem Schandauer "Guten Morgen Herr Hering" sagt. Ein einziges Mal passierte es mir, daß der Betroffene sagte: "Nee, Herr Doktor, Sie verwechseln mich mit meinem Schwager".
Eine würdige Ausnahme machte eine nützliche Dame in Schandau, Frau Venus, Hebamme.
Ich muß immmer lachen, wenn ich im Tannhäuser singen höre: "Zu dir, Frau Venus, kehr ich wieder!" Ich möchte Schandau mit einer jungen bildhübschen Dame vergleichen, die wenig Vermögen hat. Schandau ist der lieblichste, schönstgelegene Ort im ganzen Sachsenlande.
Aber es fehlt ihm eine Heilquelle, nach der indes in nächster Zeit gebohrt werden soll. Um so höher ist es zu bewerten, daß es trotzdem einen so hohen Aufschwung genommen hat. Schandau ist die vornehmste Sommerfrische und der bedeutsamste Nachkurort Sachsens, und schon der berühmte Geheimrat Henoch, Kinderarzt der ehemaligen kaiserlichen Familie, rühmte Schandau mit den Worten: "Die von der Sonne durchwärmte Elbluft ist besonders für den Organismus der Kinder zu empfehlen." Aber Schandau mußte immer kämpfen um seine Stellung zu behaupten. Damals, in der Zeit, von der ich spreche, gab es noch nicht die Hunderte von Sommerfrischen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Es gab in Sachsen überhaupt nur ein Bad, das in Frage kam, das war das königliche Bad Elster, das sich allerdings des besonderen Schutzes der Regierung erfreute und noch heute erfreut, während Schandau immer auf sich selbst angewiesen war.
Trotz alledem genießt Schandau einen Weltruf und hat sich ihn bis zum heutigen Tage zu erhalten gewußt. Die Dresdner hatten für Schandau nie viel übrig. Es war ihnen als Sommerfrische zu nahe und zu teuer, wogegen die Berliner Schandau und die Sächsische Schweiz außerordentlich bevorzugten."


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